Gehirnfunktion und Bauchgefühl

Kein Buch und kein Workshop zum Thema des menschlichen Verhaltens bei Transformationen und im Change-Management kommt ohne Hinweise oder längere Ausführungen zum Aufbau, zur Funktion und zum Einfluss des menschlichen Gehirns aus. Immerhin sitzt in diesem komplexen System die Schaltzentrale unseres Fühlens, Denkens, Entscheidens und Handelns. 

Was passiert im Gehirn

Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Großhirn und dem Limbischen System. Das Großhirn ist jünger, arbeitet auf verschiedenen Ebenen, benötigt einige Zeit und ist eher für rationale Entscheidungen zuständig. Das Limbische System ist in seiner Evolution älter, arbeitet schneller, verbraucht mehr Energie und steuert - neben anderen Aufgaben - vornehmlich unsere emotionalen Reaktionen und Reflexe. In der Literatur werden die Rollen/Funktionen des Großhirns versus Limbischen Systems deshalb gerne als „langsames und schnelles Denken“ oder „Autopilot und Pilot“ oder „Reiter und Elefant“ bezeichnet. 

Das Limbische System geht mindestens bis auf die Zeit der Dinosaurier zurück. Zur Veranschaulichung der Funktionen dieses komplexen Systems und der Auswirkung auf menschliches Verhalten wird gerne beispielhaft die bedrohliche Situation bei der Begegnung mit einem Säbelzahntiger herangezogen. Wähnt sich ein Mensch in Gefahr, reagiert er ohne nachzudenken mit spontanen Reflexen wie: Schockstarre, Flucht oder Angriff. Übertragen auf den heutigen Alltag treten solche Situationen auf, wenn im Berufsleben oder privatem Bereich die persönliche Sicherheit, die Autonomie, das eigene Revier oder das hierarchische Selbstverständnis herausgefordert werden. Rufen Sie sich doch einmal die letzte Gegebenheit in Ihrem Arbeitsalltag vor Augen, in der Sie emotional reagiert haben. Hand aufs Herz: der Grund Ihres Verhaltens hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine Ursache in einer der oben genannten Herausforderungen Ihrer Selbstbehauptung. Was kann man dagegen tun? Den spontanen Flucht- oder Angriffsreflex blockieren und das Großhirn einschalten: also erst denken und dann handeln. Wenn das so einfach wäre! Ich möchte in diesem Artikel aber noch auf einen ganz anderen Aspekt hinaus: Das Bauchgefühl. 

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Wie reagiert der Bauch

Das Bauchgefühl ist eine Spielart des Limbischen Systems. Als emotionales Gedächtnis kann das Bauchgefühl Glück, Liebe aber auch Unsicherheit, Angst und Gefahr signalisieren. Diese Umschreibungen kennen wir alle: „Schmetterlinge im Bauch“, „Liebe geht durch den Magen“, „Flugzeuge im Bauch“ aber eben auch „Mir ist flau dabei“, „Das macht mir Bauchschmerzen“ und „das ist mir auf den Magen geschlagen“. 

Der Bauch vermittelt uns fühl- und spürbare Signale. Stellen wir uns vor, dass wir vor einer für uns nicht einschätzbaren Situation stehen. Etwa der Vortrag in einem Steering Committee. Angenommen, die für das Meeting nötigen Fakten und Informationen stehen dem Großhirn nicht ausreichend zur Verfügung, um rational abwägen und möglichst schnell entscheiden oder Antworten auf kritische Fragen geben zu können. Weiter angenommen, unsere bis dato gemachten und im Limbischen System abgespeicherten Erfahrungen signalisieren Unsicherheit und Gefahr. Dann wird sich auch das Bauchgefühl des Unwohlseins unvermeidbar melden. 

Die Regung des Bauches können wir in diesem Fall als eine Art Warnsystem verstehen: „Vorsicht, Gefahr in Verzug – das Limbische System wittert Ungemach und das Großhirn kann keine rationalen Lösungsoptionen anbieten. Von irgend etwas müssen wir unsere Entscheidung oder unser Verhalten jetzt aber doch leiten lassen. Wer oder was übernimmt in solch einem Fall das Ruder? Es ist die Intuition. 

Intuition – Die Mischung macht es 

Die Intuition verstehe ich als eine Folge des Zusammenspiels von Limbischem System, Bauch und Großhirn. Kein Part sollte alleine agieren. Beispiele dafür gibt es so unzählbar viele, wie es Menschen und deren erlebte Situationen gibt. Versuchen wir, uns dieses Themas über eine grobe Clusterung weiter zu nähern. 

Variante 1: Das Großhirn hilft dem Limbischem System 

Ein Projektleiter wird von einem Teammitglied vor versammelter Mannschaft für unfähig erklärt. Das Limbische System wird umgehend getriggert und löst bei dem Projektleiter den Reflex eines emotional aufgeladenen Gegenangriffs aus. Die Situation passiert nicht zum ersten Mal, der Projektleiter hatte bereits im Vorfeld ein schlechtes Bauchgefühl. Die Intuition sagt ihm unmittelbar, dass es nicht zielführend sein wird, das Teammitglied durch einen öffentlichen Angriff in die Schranken zu weisen. Also beginnt der Projektleiter darüber nachzudenken, weshalb das Teammitglied eigentlich so agiert. Das Großhirn wird eingeschaltet. Resultat: Erkenntnis des Projektleiters, dass sich das Teammitglied zu wenig wertgeschätzt fühlt. Mit diesem Verständnis kann der Projektleiter jetzt angemessener reagieren und muss nicht in den emotionalen Gegenangriff übergehen. Er kann sich damit vor übereilten emotionalen Reaktionen schützen, die ihm im Zweifelsfall hinterher, möglicherweise sofort, leidgetan hätten. Denn nicht selten stehen unsere Kurzschlusshandlungen im Widerspruch zu unserer Vorstellung von Moral, Ethik, Gerechtigkeit oder zwischenmenschlichem Respekt. 

Variante 2: Das Limbisches System hilft dem Großhirn 

Die Intuition navigiert uns durch unzählige Situationen in unserem Leben. Denn fast nie haben wir ausreichend harte Fakten zur Hand, um einen Sachverhalt ganzheitlich zu durchdenken und risikolose, erfolgsgarantierte und richtige Entscheidungen treffen zu können. Seien wir ehrlich. Auch bei großen Entscheidungen stößt das rational denkende Großhirn an seine Grenzen. Etwa bei Vertragsabschlüssen, Aktienkäufen, der Festlegung von Budgets oder Personalentscheidungen. Dann wiederum hilft uns das Limbische System mit seinen gespeicherten Erfahrungen und der Heuristik. Daraus ergeben sich zwar keine auf die aktuell vorliegende Situation ableitbare Fakten, aber immerhin Faustregeln, die helfen, intuitiv handeln- und entscheiden zu können – eben nach dem bestmöglichen Bauchgefühl. 

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Sind wir also froh, wenn die Bestandteile des Gehirns und unser Bauch so gut zusammenarbeiten. Und solange die Intuition unser Verhalten und unsere Entscheidungen richtig steuert, können wir dankbar sein für dieses komplexe Teamwork. 

Dieser Artikel ist aus Überlegungen zur Vorbereitung meines Beitrages “Karriereschritte mit Kopf oder Bauch” für des Buch Bauchgefühl im Management entstanden.

Sprechen Sie mich gerne direkt darauf an, ich freue mich! Kontakt

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